Jahresversammlung der Maximilian-Gesellschaft
in Utrecht, Den Haag und Harlem
am 7.-9. September 2023
Zum zweiten Mal nach der Versammlung in Wien 2018 traf sich die Gesellschaft an einem buchhistorisch bedeutsamen Ort im Ausland. Die Planung der Tagung haben federführend Karl-Heinz Knupfer und Uwe Jentzsch übernommen und ein sehr gut getaktetes und reichhaltiges Programm – einschließlich des komfortablen Bustransfers – in vier Bibliotheken organisiert: der Universitätsbibliothek in Utrecht, der Königlichen Bibliothek in Den Haag, der Stadsbibliothek in Haarlem und dem Buchmuseum Meermanno wieder in Den Haag. Alle Teilnehmer waren zudem vorzüglich in die niederländische Bibliothekswelt eingeführt durch einen Aufsatz unseres Vorstandsmitglieds Wolfgang Schmitz, der vorab verschickt worden war.
Den Auftakt machte am Donnerstagnachmittag der Besuch der architektonisch eindrucksvollen Universitätsbibliothek auf dem hochmodernen Campus am Rande der Stadt. Dort betrachteten wir eine von Dr. Bart Jaski sorgsam ausgewählte Reihe wertvoller mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Handschriften und Drucke, die auf langen Tischen auf dort plazierten dicken Kissen ruhten, um nacheinander Stück für Stück geöffnet und erläutert zu werden.
Wir sahen prachtvolle Illuminationen, außerordentlich feine Zierinitialen (mit dem für Utrecht typischen Drachenmotiv), einen großartigen Peter Schöffer Druck von 1470 (Hieronymus Epistolae), dazu orts- und regionalgeschichtlich bedeutsame Karten und Ansichtswerke. Das Glanzstück der Bibliothek, den berühmten Utrechter Psalter aus dem frühen 9. Jhdt mit den eleganten Federzeichnungen in brauner Tinte sahen wir allerdings nur im Faksimile-Druck – er ist zu fragil, um bei Besichtigungen geöffnet zu werden. Utrecht, als das damalige Zentrum der Buchproduktion der Niederlande, wurde so auf eindrucksvolle Weise präsentiert.
In der UB Utrecht fand auch die Mitgliederversammlung statt, in der der bisherige Vorstand bestätigt wurde (siehe gesondertes Protokoll im Mitgliederbereich)
Am zweiten Tag ging es zunächst zur Königlichen Bibliothek in Den Haag, die in einem nüchternen Neubau direkt neben dem Hauptbahnhof ihren Sitz hat. Die Tradition dieser Bibliothek ist jünger als in Utrecht, hier standen Drucke aus dem 16. Jhdt sowie ein Prachtexemplar des Blaeuschen Atlas im Zentrum, ergänzt durch großformatige Werke zur Zoologie und Botanik. Wir saßen in lockerem Halbkreis um die in der Mitte ausgelegten Bücherschätze. Jeroen Vandommele erläuterte die Stücke anschaulich und detailliert und führte uns durch die intensiv genützten Lesesäle und weitläufigen Magazine, wo man noch so machen Schatz erahnen konnte.
Am Nachmittag ging es in die malerische Stadt Haarlem, die alle Erwartungen einer holländischen alten Stadt erfüllt: ein Binnenhafenbecken mit Windmühle, malerische Gassen und der monumentalen St. Bavo Kirche mit hölzernem Gewölbe, ein Beleg der holländischen Schiffbaukunst. Auf dem historischen Marktplatz steht natürlich ein großes Denkmal von Laurens Janszoon Coster, dem vermeintlichen Erfinder des Buchdrucks mit beweglichen Lettern. Diese Legende wurde lange liebevoll gepflegt, aber mittlerweile räumten auch die liebeswürdigen jungen Bibliothekarinnen um Hannah Goedbloed, die uns durch die Stadsbibliothek führten, ein, dass das heute längst als widerlegt gilt. Die Stadsbibliothek befindet sich in einem kleinen Kloster mitten in der Altstadt, wir wurden herzlich begrüßt und mit Kaffee erfrischt. In der Klosterkirche befindet sich auf der Empore eine vorzüglich gestaltete Ausstellung zur im 17. Jhdt beginnenden und bis heute fortlebenden Geschichte von Druckerei, Schriftgießerei und Verlag Enschedé: in den Vitrinen finden sich Patrizen und Matrizen, herausragende Publikationen wie z.B. frühe Notendrucke aus Typenmaterial. Sodann wurden Schätze der Sammlung, die aus verschiedenen früheren Haarlemer Klosterbibliotheken entstanden ist, gezeigt, darunter auch sog. Costeriana (also Fälschungen bzw. Zuschreibungen), sowie besonders wertvolle Blockbücher. Erfreulich war, dass ausgerechnet in dieser kleineren Bibliothek auch Druckerzeugnisse des 20. und 21. Jhdts, Drucke gezeigt wurden, wie der Zilverdistel und ganz aktuelle Künstlerbücher. Der Tag schloss mit einem festlichen Abendessen im Restaurant DeRechtbank in der Utrechter Altstadt.
Am dritten Tag ging es noch einmal nach Den Haag ins Museum Meermanno (Huis van het Boek), das sich in einem Stadtpalast mit Gartenhof und Gartengebäude befindet und über eine außerordentliche Vielfalt von Beständen verfügt. Gegründet von Johan Meermann gehen die heutigen Bestände auf den Bibliophilen Baron van Westreenen zurück, der über 1.800 Inkunabeln und sonstige Schätze sammelte, darunter auch gezielt Stücke aus der zuvor zerstreuten Bibliothek Meermanns. Hoch engagiert wurden wir durch dessen Leiter Rickey Tax durch das Haus geführt, dessen Herzstück, der Inkunabelsaal für uns sogar mit geöffneten Fensterläden hell im Herbstlicht leuchtete, was sonst aus konser-vatorischen Gründen nicht gemacht wird.
Wir durften Stücke benennen, die dann aus den Schränken entnommen, präsentiert und erläutert wurden. Ein großes Erlebnis! Des Weiteren enthält das Haus buchhistorische Präsentationen, eine Werkstatt im Dachgeschoss, moderne Künstlerbücher, die ebenfalls in Auswahl gezeigt wurden und im Gartengebäude die Miniaturbuchsammlung des Antiquarsehepaars Guus Thurkow, die z.T. in der Art einer Puppenstubenbibliothek gezeigt wird. Historisch bedeutsame Miniaturbücher lagen in den Vitrinen – die Sammlung umfasst über 1.500 Stücke!
Es war ein großes, reichhaltiges Büchermenu vom 9. bis zum 21.Jhdt, das wir in diesen drei Tagen genießen durften – begünstigt durch sonniges Spätsommerwetter und eine besonders freundschaftliche Atmosphäre in der eher kleinen Gruppe der Teilnehmer.
Großer Dank an alle, die daran mitgewirkt haben.
Wulf D. v. Lucius